Argumentationshilfen gegen Vorurteile

Argumentationshilfen gegen Vorurteile

Die Debatte um die zunehmende Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber*innen, die nach Deutschland kommen, wird immer emotionaler geführt. Viele „Asylkritiker*innen“ heizen die Situation an, aber bei genauer Betrachtung und der Auseinandersetzung mit Sachinformationen zeigt sich ein anderes Bild. Der Caritasverband Brilon mit seiner ehren- und hauptberuflichen Struktur möchte mit dieser Argumentationshilfe einen Beitrag zur Auseinandersetzung leisten.

 

1. Die Zahl der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Europa steigt und es heißt: „Wir können doch nicht die ganze Welt aufnehmen?“

Aber richtig ist, dass nur ein Bruchteil der Flüchtlinge nach Europa kommt. Zurzeit sind weltweit ca. 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Davon verlassen ca. 40 Mill. Menschen gar nicht ihr Land, sondern sind Binnenvertriebene, die vor der Gewalt in andere Teile ihres Heimatlandes ausweichen. Ein weiterer großer Teil der Flüchtlinge flieht in die Nachbarstaaten und somit leben weit über 80% der Flüchtlinge in Entwicklungsländern. Die größte Gruppe der Flüchtenden, ca. vier Millionen Menschen, stammen aus Syrien. Der überwiegende Teil sucht im Heimatland und den umliegenden Ländern – Libanon, Jordanien und der Türkei – Schutz. Allein der Libanon hat bei einer eigenen Einwohnerzahl von 4,5 Mill. zurzeit ca. 1,5 Mill. Menschen aus Syrien aufgenommen. Weitere große Fluchtländer sind Afghanistan, Irak, Eritrea und Somalia. Europaweit liegt Deutschland bei den Asylanträgen im Mittelfeld. Zurzeit kommen in Deutschland ca. 10 Flüchtlinge auf 1000 Einwohner.

2. Welche Ursachen führen zu den größer gewordenen Flüchtlingszahlen?

Die Gründe, die Menschen in die Flucht treiben, wiegen schwer: Krieg, Verfolgung, Existenzgefährdung. Niemand setzt sich leichtfertig in ein marodes Boot, wissend, dass der Tod drohen könnte. Niemand setzt alles aufs Spiel – Heimat, Besitz, Familienangehörige, Kinder – und das alles nur in der Hoffnung auf den Bezug von Sozialleistungen. Wer Asyl sucht, sieht darin oft die letzte Überlebenschance. Über viele Jahre haben die europäischen Regierungen unterdrückerische Regime und Gewaltherrschaften gestützt, z. B. die Diktatoren in Libyen, Tunesien (vor dem „arabischen Frühling“), Syrien, Irak, Saudi-Arabien. Kriege, die vom Westen im Irak und Afghanistan geführt wurden, lösten neue Fluchtbewegungen aus. Ungerechte Weltwirtschaftsbedingungen in vielen Teilen der Welt führen zu Zusammenbrüchen der dortigen heimischen Wirtschaft. Ohne eine konsequente Menschenrechts- und Umweltpolitik Europas und ohne gerechtere Weltwirtschaftsbedingungen wird die Zahl der Flüchtlinge nicht geringer werden.

3. Wie kann die Flüchtlingssituation der Menschen vom Balkan eingeordnet werden?

Auch wenn auf dem Balkan kein Bürgerkrieg mehr herrscht, denken viele Menschen hierzulande, Asylsuchende von dort wären nichts anderes als Wirtschaftsflüchtlinge. Aber besonders Roma leiden in ihren Heimatländern unter großer Diskriminierung, so stellt es auch die EU-Kommission fest. Laut „Pro Asyl“ bekommen Roma oft keine Wohnungen, sie leben in Slums, meist ohne Strom und Heizung. Sie können ihre Kinder nicht zur Schule schicken, bekommen keine Arbeit und sind nicht über die Gesundheitssysteme abgesichert. Sie leben in existenzieller Not, leiden oft sogar Hunger. In vielen mitteleuropäischen Ländern werden den gestellten Asylanträgen der Roma teilweise stattgegeben, Deutschland schiebt aber fast zu 100 Prozent ab.

4. Asylbewerber*innen sind kriminell!

Steigt in der Nähe von Flüchtlingsheimen die Kriminalität an? Die Potsdamer Polizei hat dies einmal exemplarisch für eine Einrichtung der Stadt über mehrere Jahre beobachtet – ihr Ergebnis: Statistisch hat sich das Flüchtlingsheim nicht auf die Kriminalitätsentwicklung ausgewirkt. Ähnliches kann die Polizei aus Bremen und Berlin berichten. Natürlich verunsichert zunächst einmal eine große Zahl von „Fremden“ – aber Flüchtlinge sind so verschieden, wie Menschen eben sind. Verunsicherten Nachbarn ist zu raten: Lernen Sie die Menschen kennen!

5. Die wachsende Zahl von Flüchtlingen kostet uns viel Geld!

Für die Bundesrepublik sind das Asylgrundrecht, die europäische Gesetzgebung und vor allem das Völkerrecht verbindlich – auch dann, wenn es Geld kostet. Wer das infrage stellt, stellt unseren modernen Rechtsstaat infrage. Natürlich müssen mehrere Milliarden Euro für die Versogung der Flüchtlinge aufgebracht werden, aber viele Steuergelder werden in Deutschland auch verschwendet wie z.B. beim Bau des neuen Berliner Flughafens und bei genauer Betrachtung auch in unseren Städten und Kommunen. Bei der Flüchtlingsbetreuung handelt es sich um Investitionen für Menschen, die Schutz und Sicherheit suchen. Eine Krankenversicherung haben Flüchtlinge nicht, in Notfällen werden sie aber selbstverständlich behandelt, die Kosten trägt der Staat. Ansonsten stehen den Flüchtlingen pro Person ca. 360,00 im Monat zu (Asylbewerber-Leistungsgesetz, angelehnt an „Hartz IV“ – 2012 durch das Bundesverfassungsgericht festgelegt – allerdings ca. 40,00 € weniger). Bei Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften bekommen sie Essen und Kleidung als „Sachleistung“ und einen Teil des Geldes (Erwachsene 130,00 €, Kinder 90,00 €) als Taschengeld. Die Flüchtlingssituation kostet uns aber nicht nur, sondern stärkt unsere Wirtschaft durch Binnenkonsum, Arbeitsplätze und Produktion für Güter, die mit der Unterbringung zu tun haben.

6. Flüchtlinge nehmen deutschen Arbeitnehmer*innen die Arbeitsplätze weg!

Wird den Flüchtlingen nicht vorgehalten, sie würden das deutsche Sozialsystem ausnutzen, wird ihnen der Vorwurf gemacht, sie würden die Arbeitsplätze streitig machen. Richtig ist: Asylbewerber*innen dürfen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes in Deutschland gar nicht arbeiten. Danach haben sie zwar theoretisch die Möglichkeit, einen Job anzunehmen, aber ihre Chancen stehen schlecht, denn es galt die sogenannte „Vorrangprüfung“, die Sommer 2016 in Hessen ausgesetzt wurde. Diese besagt, dass bei Stellenbesetzungen zunächst deutsche und EU-Bürger*innen Vorrang haben. Erst nach 15 Monaten erlischt diese Regelung. Unstrittig ist, dass Deutschland über kurz oder lang zu wenig Arbeitskräfte haben wird, Stichwort: Fachkräftemangel. Dieses Problem kann das Land nur durch Zuwanderung lösen.

7. Bezahlbarer Wohnraum in Deutschland wird knapp!

Richtig ist: Keine deutsche Familie muss wegen der Flüchtlinge ihre Wohnung räumen. Viele Städte und Gemeinden suchen Unterkünfte und Wohnungen für die Flüchtlinge und dies wird sich auf dem Wohnungsmarkt bemerkbar machen, aber hier zeigt sich auch die verfehlte Politik der letzten Jahre und Jahrzehnte. Der soziale Wohnungsbau wurde vernachlässigt, teilweise wurden städtische Wohnungen an private Finanzspekulanten*innen  verkauft, nur um die städtischen Haushalte „schön zu rechnen“ und auch vor der momentanen Flüchtlingssituation war bezahlbarer Wohnraum Mangelware. Nachvollziehbar ist sicherlich für jeden, dass Massenunterkünfte auf Dauer sehr problematisch sind. Das erzwungene Zusammenleben mit andern, die räumliche Enge, die mangelnde Privatsphäre, fehlende Integrationsangebote, die Ablehnung von außen – alles Gründe für eine enorme psychische Belastung. Flüchtlinge sollten in normalen Wohnungen untergebracht werden, dann ist auch die Chance größer, dass die Nachbar*innen keinen Bogen um sie machen, vielleicht sogar auf sie zugehen.

8. Wie sieht das Asylverfahren eigentlich aus?

Nach der Ankunft in Deutschland müssen die Flüchtlinge zunächst in eine Erstaufnahmeeinrichtung. Hier findet ein Medizin-Check, die Versorgung mit Hygieneartikeln und Kleidung statt und es soll der Asylantrag gestellt werden, was aber, aufgrund der großen Zahlen, nicht immer klappt. Danach geht es in die Zentralen Unterbringungseinrichtungen der Bundesländer, davon gibt es in NRW 21. Da aber diese Einrichtungen oft überfüllt waren und sind, wurden 220 Notunterkünfte geschaffen, eine davon mit 400 Plätzen in Brilon. Hier finden Registrierungen und weitere Grundversorgungen statt. Nach der Registrierung (und, wenn noch nicht geschehen, die Asylantragstellung) in einer zentralen Registrierungsstelle (für Brilon in Münster), werden die Flüchtlinge den Kommunen zugewiesen. Anschließend warten Asylbewerber*innen durchschnittlich sechs Monate (oft länger) auf ihre Aufenthaltsgestattung (genauere Infos dazu unter www.bamf.de-Bundesamt für Migration und Flüchtlinge-). Danach besteht die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme, aber Vorrangprüfung (siehe Argument 6). Wird der Asylantrag negativ beschieden, droht die Abschiebung. Viele tauchen aber vor der Umsetzung der Abschiebung unter und halten sich damit illegal in Deutschland auf. Können Asylbewerber nicht abgeschoben werden (z.B. wegen Krankheit oder Minderjährige ohne Erwachsene), erhalten sie eine Duldung. Geduldete Personen dürfen erst nach einem Jahr Wartezeit arbeiten, allerdings nur mit einer Genehmigung der Agentur für Arbeit.

9. Gehen Flüchtlinge eigentlich wieder zurück?

Weniger als die Hälfte aller Einwanderer*innen lebt länger als ein Jahr in Deutschland, 74 % sind nicht länger als vier Jahre hier (Statistik des Bundesamtes für Migration). Wer langfristig hier bleibt, sind meistens EU-Bürger*innen (sind keine Asylbewerber*innen). Flüchtlinge dagegen kehren oft freiwillig heim, und zwar recht rasch. Dies fördert der Staat auch mit Rückkehrprogrammen für Asylbewerber*innen. Lange Bearbeitungszeiten der deutschen Behörden erschweren den Flüchtlingen hier überhaupt Fuß zu fassen. Die meisten wollen ohnehin nicht längerfristig ihr Heimatland verlassen.

10. Und zum Schluss: Denen geht`s doch gar nicht schlecht – die haben sogar teure Smartphones!

Richtig ist: ja die meisten Flüchtlinge haben ein Handy. Dies ist aber nicht überraschend, denn in vielen Herkunftsländern sind Smartphones keine Luxusobjekte und Statussymbole, sondern oft das einzige Elektrogerät, das man besitzt. Außerdem sind sie oft ein überlebenswichtiges Kommunikationsmittel. Viele Menschen schafften sich in den Revolutionswirren des „arabischen Frühlings“ Handys an, um sich untereinander vor Militärattacken zu warnen und Demonstrationen zu organisieren. Heute gibt es allein in Syrien zwölf Millionen Geräte auf 20 Mill. Einwohner. Darüber hinaus witterten die Handyhersteller einen gigantischen Markt und förderten die Verbreitung und brachten abgespeckte Billigmodelle auf den Markt. Handyhersteller sammelten in den USA sogar gebrauchte Telefone bei der Kundschaft ein, um sie aufzuarbeiten und gezielt nach Nahost zu verschicken. Das ist ein Grund dafür, dass man viele Flüchtlinge mit vermeintlich teuren Smartphones sieht. Zugleich sind Handys das einzige Mittel, mit dem die Flüchtlinge ihren Daheimgebliebenen oder durch die Flucht an andere Orte verschlagenen Angehörigen Lebenszeichen senden können.

 

Das vorliegende Dokument wurde Ihnen mit freundlicher Unterstützung des Caritasverbandes Brilon e. V. präsentiert.

 

Quellen:

 

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